Erfahrungsbericht

Kolumbien bei uns zu Hause

Wir sind Grit und Ralf, zu uns gehören unsere beiden Söhne Jakob (14) und Simon (16).

Im letzten Sommer kam Jakob mit einem Flyer von der Austauschorganisation aubiko e.V. vom Gymnasium nach Hause – es wurden Gasteltern gesucht. Ich las von kolumbianischen Schülern. Kolumbien löst bei mir wunderbare Erinnerungen an eigene Auslandsaufenthalte aus und somit war für mich schnell klar – das könnte eine tolle Erfahrung werden. Ein erstes Telefonat mit Aubiko bestätigte mein Gefühl. Übers Wochenende wurde in der Familie beratschlagt. Die Briefe der Jugendlichen und ihrer Eltern halfen uns, das passende Gastkind für uns zu finden. Die Vermittlung über aubiko war sehr unkompliziert, bald schon konnten wir Juan Camilo und seine Eltern in einer Videokonferenz kennenlernen. Aubiko besuchte uns zu Hause und so waren wir uns schnell einig – Juan Camilo ist bei uns herzlich willkommen.

Im August war es so weit –  Juan Camilo aus Cali war bei uns angekommen. Die erste Herausforderung begann sogleich. Wir hatten nur wenige Stunden Zeit, uns kennenzulernen, ihm sein Zimmer zu zeigen, Geschenke auszutauschen, etwas zu essen und zu schlafen. Dann begann bereits der erste Schultag auf dem Gymnasium.  Alles neu:  Schulweg, Lehrer, Mitschüler, Essen, Tagesablauf. Bestimmt ein verrückter Tag im Leben eines 15jährigen, der gerade von einem anderen Kontinent kommt und noch nie im Leben wirklich von seiner Familie getrennt war. Hier begann seine wunderbare Reise in die Selbständigkeit.  Allein zur Schule fahren oder nach der Schule einfach mit Freunden in der Stadt bummeln gehen oder gar einen Ausflug mit der Bahn in eine andere Stadt machen – das ist in Kolumbien nicht selbstverständlich.

Die Gastschüler aus Kolumbien kommen von der deutschen Schule – sie haben recht gute Kenntnisse der deutschen Sprache. Anfangs haben wir dennoch oft Spanisch gesprochen, besonders wenn die Gespräche in die Tiefe gingen.  Viele Menschen aus lateinamerikanischen Kulturen sind sehr kommunikativ und es macht Freude, sich über alle möglichen Themen auszutauschen.  Wir waren also in der glücklichen Situation, beide Sprachen nutzen zu können.

Es ist spannend zu hören, was jemand aus einer anderen Kultur wahrnimmt – wie er unsere Welt erlebt.  So oft haben wir gescherzt und herzlich gelacht. Man nimmt sich selbst nicht so ernst in Kolumbien und das ist ansteckend. Manchmal hat Juan mir klargemacht, was wir in unserem Hamsterrad nicht wahrnehmen.  Ein Motto von Juan: „Das ist nicht das Ende der Welt“, und Recht hat er! 

Was waren die schönsten Erlebnisse?

So viele schöne Momente – unmöglich sie hier alle aufzuzählen. Eigentlich war an fast jedem Wochenende etwas los, überallhin wurde Juan mitgenommen: sei es das Feuerwehrfest, das Orchestervorspiel, der Familientag in der Firma, Ausflüge zu Freunden und Familie, Weihnachtsmarkt oder Schneeballschlacht und Schlittschuhlaufen.  Es war eine sehr intensiv erlebte Zeit.  Alles davon hat Freude bereitet, selbst die Einkäufe und Hausarbeiten, welche fortan gemeinsam mit Juan erledigt wurden.

Zu einem Jugendlichen aus Kolumbien gehört natürlich unbedingt die Musik mit ihren lateinamerikanischen Rhythmen. Sie ist voller Energie und Lebensfreude und wir hören sie auch jetzt noch fast täglich.

In einem halben Jahr kann man unglaublich viel über die andere Kultur lernen, es ist eine kleine Reise in das Land des Gastkindes. Eine andere Kultur setzt sich bei uns zu Hause auf Sofa – wie schön! J

Klar versteht man ganz nebenbei auch sich selbst und die deutsche Kultur noch besser, kann besser reflektieren und übt sich in Toleranz und Geduld.

Der Austausch ist ein unfassbarer Schatz und natürlich ein Glück, wenn es mit der Chemie stimmt und Gasteltern und Gastkinder gut zueinander passen. Daher ist es wichtig, zu Beginn die Steckbriefe von Aubiko aufmerksam zu lesen und sich gut zu überlegen, was man erwartet und was zur eigenen Familie passt. 

Ich wünschte, jede Familie könnte einmal für einige Zeit diese Erfahrung machen. Ich empfehle es allen und wünsche allen zukünftigen Gasteltern viel Glück. Genießen Sie die gemeinsame Zeit.

Grit Leonhardt